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Warum Deutsche und Tschechen einander schwer verstehen

(Erschienen in der Monatsschrift Die Christengemeinschaft 1999/2)

Was man meint, wenn man im Deutschen von „böhmischen Dörfern“ spricht, können wir am besten begreifen, wenn wir einige wirklich böhmische Dörfer nennen: Chraštičky, Nová Ves pod Pleší, Dolní Slivno, Břví. Schon den mittelalterlichen Bewohnern der deutschen Lande klangen die böhmischen Wörter barbarisch, wild und fremd, und obwohl man seit etwa hundert Jahren das Böhmische auch „Tschechisch“ nennt, ist es ein Inbegriff der Unverständlichkeit geblieben.

Doch auch die alten Slawen haben ihren westlichen Nachbarn nicht viel Verständnis entgegengebracht: Sie erkannten sogar deren Sprache nicht als eine Sprache, sondern hielten sie für zufällige, unartikulierte Laute, wie Taubstumme sie von sich geben, und nannten die Deutschen „die Stummen“, was diesen bis in unsere Zeit anhaftet – im heutigen Tschechisch „Němci“.

Das chronische gegenseitige Unverständnis wird von einigen Forschern auf das Barbarentum und die Kulturlosigkeit des einen oder des andern der beiden Völker zurückgeführt (in der Regel des Volkes, dem der betreffende Forscher nicht angehört). Gemäßigte Wissenschaftler sprechen über eine grundsätzlich verschiedene seelische Beschaffenheit der beiden Völker, und einige radikale trauen sich zu behaupten, die Deutschen und die Tschechen seien einander in der Seele ähnlicher als kaum zwei andere Völker – sie seien nur gewöhnt, sich einfach ganz anders auszudrücken. Doch sei dies oder jenes der Grund, wir müssen feststellen, daß Deutsche und Tschechen füreinander manchmal unverständlich reden. Und es kann nicht falsch sein, bei der Suche nach dem Verständnis die beiden Nachbarsprachen genauer anzuschauen.

Barbarische Laute

Hört ein unvorbereitetes deutsches Ohr dem Tschechischen zu, fragt es sich nicht selten, ob diese Sprache überhaupt Vokale besitze. Umso erstaunlicher ist es, daß mancher Tscheche den gleichen Eindruck von der deutschen Sprache hat. Und macht sich dann ein Skeptiker ans Werk und beginnt, die Häufigkeit der Konsonanten und Vokale in den beiden Sprachen statistisch zu erfassen, stellt er fest, daß beide etwa den gleichen Anteil an Vokalen haben. Daß aber Tschechen und Deutsche ihre Sprachen gegenseitig so unterschiedlich hören, liegt vor allem daran, wo innerhalb der Rede sich die Konsonanten und Vokale befinden.

Blicken wir auf die Wörter, die uns im Vergleich mit dem Deutschen am konsonantischsten klingen, werden wir gewahr, daß das, was uns eigentlich stört, die Häufung der Konsonanten am Wortanfang ist: „lká“, „štve“, „vstříc“ oder „čtvrtek“. Eine weitere Entdeckung können wir an einigen deutschen Wörtern machen – z.B. „Nacht“, „Amt“ oder „an“ – die rückwärts gelesen ein regelrechtes tschechisches Wort ergeben – hier „tchán“ („Schwiegervater“), „tma“ („Dunkelheit“) und „na“ („auf“).

Der Deutsche scheut sich keineswegs, hier und da ein Wort mit einem Vokal zu beginnen. Die dadurch ersparten Konsonanten setzt er dann möglichst nah an das Wortende: „alt“, „nachts“, „er erbt“, „du herrschst“. Wissen wir, daß die Vokale eher den seelischen Ausdruck vermitteln, während die Konsonanten mehr das Gedanklich-Objektive beschreiben, können wir diese Neigung gut verstehen: Der Deutsche beginnt, wenn er ein Wort ausspricht, bei sich selber, bei seinem seelischen Befinden, und mit ehrlichem Bemühen arbeitet er sich zu einem Begriff durch. Also, wenn man am Anfang des Wortes Konsonanten ausspricht, sind sie vielmehr nur etwas wie eine gedankliche Voraussetzung oder Zusammenfassung des Vorigen. Die Vokale des eigenen Seelenlebens tragen einen dann in die Welt, und eine konsonantische Endung ist gleichsam das Ergebnis einer Erkenntnisarbeit: Erkenne dich selbst, und du erkennst die Welt.

Dem Tschechen stehen, wie wir schon erwähnt haben, beim Sprechen etwa die gleiche Menge Vokale und Konsonanten zur Verfügung, er kann sich also auch der gleichen Seelenkraft und der gleichen Gedankenstärke bedienen. Doch er beginnt mit dem, womit der Deutsche aufgehört hat: In der Regel stellt er am Wortanfang mit einigen Konsonanten die objektive Charakteristik des Begriffes fest und dann, wie vor Freude, daß es gelungen ist, wird er immer vokalischer, indem er mit seiner Seele das draußen Erkannte durchdringt: Poznej svět, a poznáš sebe sama.

Wir sehen, daß auf dem Felde der Vokale und Konsonanten sich der Deutsche und der Tscheche nicht in Seeleninhalt und -fähigkeit unterscheiden, wohl aber in der Reihenfolge, in der sie das eigene Empfinden und das begriffsbezogene Wahrnehmen ins Spiel bringen. Und am besten kommt dies zum Ausdruck, wenn sie sich selbst bezeichnen: Der eine nennt sich selber „ich“ – das Empfinden seiner selbst (I) gibt ihm Grundlage zum Finden des Geistes in der Welt (CH). Der andere sagt zu sich selber „já“ – er nimmt das geistige Urbild der Welt wahr (J), und dann überströmt er die Welt mit dem eigenen Fühlen (langes A); nicht umsonst gebrauchen wir im Deutschen dasselbe Wort zur Bejahung.

Etwas Musik

Würden Tschechen und Deutsche sich einigen und die Vokale und Konsonanten innerhalb der Wörter gleich verteilen, so würde doch beiden die Sprache des anderen weiterhin befremdlich klingen. Schauen wir uns nur die beiden E's im Wort „Leben“ an: zweimal wird das gleiche geschrieben, doch im Aussprechen unterscheiden sich die beiden deutlich. Schuld daran ist die Wortbetonung, die auf der ersten Silbe liegt. Dadurch wird das erste E kräftig, lang und angespannt, und das zweite unbetonte dagegen schwach, kurz und farblos. Hängen wir nun diesem Wort das Suffix „-dig“ an, verschiebt sich die Wortbetonung auf die zweite Silbe. Dadurch wird das E in der ersten Silbe viel schwächer und farbloser, es naht dem zweiten E aus „Leben“, doch es ist etwas angespannter. Das zweite, nun betonte E hat wiederum Farbe und Kraft bekommen, doch es ist kürzer (da eine Konsonantengruppe folgt) und etwas offener, als das erste E in „Leben“. Also in bloß zwei Wörtern haben wir schon vier verschiedene Vokallaute aus einem einzigen Buchstaben herausgeholt.

Einem Tschechen ist solche Vokalwirtschaft völlig fremd. Er unterscheidet fünf kurze (a, e/ě, i/y, o, u) und fünf lange Vokale (á, é, í/ý, ó, ú/ů), und die spricht er immer gleich aus, ohne Rücksicht auf die Betonung des Wortes. Auch ein unbetonter langer Vokal bleibt lang, und ein betonter kurzer Vokal bleibt kurz. Die Wortbetonung ist schwächer als im Deutschen und liegt in der Regel auf der ersten Silbe des Wortes – nur bei einsilbigen Präpositionen verschiebt sie sich auf die Präposition – und da bleibt sie auch, ohne in das Treiben der Vokale einzugreifen. Um es im Deutschen wiederzugeben, bräuchten wir die Notenschrift: „chvátá“ („er eilt“)  , „nechvátá“ („er eilt nicht“)   , „chvátající“ („eilend“)    , „ke chvátajícímu“ („zu dem eilenden“)      .

So können wir sagen: Während der Deutsche in jedem Wort einen Mittelpunkt sieht, die betonte Silbe, um die sich die unbetonten Silben scharen und ordnen, sind dem Tschechen alle Silben gleich. Gleichmäßigen Schrittes geht er durch den Satz, und wenn er ab und zu eine Silbe mehr betont, dann ohne die Aussprache der anderen zu ändern. Setzt der Deutsche sich im Silbenfluß der Rede Schwerpunkte und Akzente, läßt der Tscheche alle Einzelheiten nebeneinander gelten. Entscheidungskraft und Betrachtungsruhe, ein Gebäude und ein Gewebe stehen sich hier gegenüber.

Wie man ein Wort langbekommt

Versuchen wir, ein möglichst langes, aber noch verständliches deutsches Wort zu erstellen, würde z.B. so etwas wie „Straßenbahnhaltestellenverzeichnis“ herauskommen. Analysieren wir das Wort, finden wir darin fünf Wortstämme („straß“, „bahn“, „halt“, „stell“ und „zeich“), drei Verbindungsglieder („en“, „e“, „en“), ein Präfix („ver“) und ein Suffix („nis“). Nun stellen wir diesem deutschen Wort ein etwa gleich langes tschechisches gegenüber, zB. „nejneobhospodařovávatelnější“ („für langzeitige Bewirtschaftung am wenigsten geeignet“). Dies enthält nur einen einzigen Wortstamm („hospod“), doch neben diesem drei Präfixe („nej“, „ne“ und „ob“), sechs Suffixe („ova“, „va“, „tel“, „n“ und „ějš“), die verschiedene dem Stammwort beigelegte Qualitäten ausdrücken – der Reihe nach das höchste Maß, Negation, Umgebung, Tätigkeit, langzeitige Wiederholung, Täter, Eigenschaft und Steigerung – und eine weiche Adjektivendung („í“).

Während der Deutsche, der einen komplizierten Begriff ausdrücken möchte, sehr häufig einfach die Teilbegriffe zu einem Kompositum zusammenschweißt, setzt sich der Tscheche unter den Begriffen einen Schwerpunkt, um den die anderen Begriffe sich scharen, eigentlich nur angedeutet durch die verschiedenen Präfixe und Suffixe. So kehren hier, auf der Ebene der Wortbildung, die gleichen Kräfte wieder, die wir auf der Ebene des Silbenrhythmus schauten. Doch was dort typisch tschechisch war, betreibt hier der Deutsche, indem er alles nebeneinander stehen läßt, und umgekehrt der Tscheche benimmt sich hier so, wie es dort der Deutsche tat: Er entscheidet sich für eines von vielem, und alles andere entschärft und verwandelt er.

Über das Holz

Haben wir also den Grundzug der tschechischen Wortbildung begriffen, wollen wir jetzt einige Wörter bilden. Für den Anfang sollen wir wissen, daß „Holz“ als „dřevo“ oder „dříví“ zu übersetzen ist (je nach dem, ob es mehr als Substanz oder als Menge angesehen wird). Auch im Tschechischen können wir daraus einige wenige zusammengesetzte Wörter schaffen, z.B. „dřevorubec“ („Holzhacker“) oder „dřevoplyn“ („Holzgas“). Das sind aber nur Ausnahmen, genauso wie es dem Deutschen der Sprachgeist erlaubt, mal mit dem einen oder anderen Suffix Wörter wie „holzig“ oder „hölzern“ zu bilden.

Gehen wir aber zu der Mehrheit der Wörter über, würden z.B. dem „Holzgewächs“, „Holzarbeiter“, „Holzschuppen“ oder „Holzpantoffel“ die Wörter „dřevina“, „dřev“, „dřevník“ und „dřevák“ entsprechen. Dabei bedeutet jedoch „ina“ keineswegs ein Gewächs und „ník“ unmöglich einen Schuppen. Es sind Suffixe, die selbst keine konkrete Bedeutung tragen, wohl aber eine Bedeutungsrichtung angeben – so wird aus „noc“ („Nacht“) „nočník“ („Nachttopf“) gebildet und aus „síra“ („Schwefel“) „sirník“ („Sulfid“).

Doch die tschechischen Suffixe reichen bei weitem nicht für alle holzbezogenen Wörter. In den meisten Fällen bedient sich dann der Tscheche verschiedener Kasus, Präpositionen oder Adjektive. So nennt man ein Holzbündel „otep dříví“, die Holzgewinnung „těžba dřeva“ und den schon erwähnten Holzschuppen auch „kůlna na dříví“ (wörtlich „Pfahlschuppen auf das Holz hin“). Adjektivisch entstehen dann Bildungen wie „dřevěný most“ („Holzbrücke“), „dřevitá vlna“ („Holzwolle“) oder „dřev dehet“ („Holzteer“).

Und hier werden wir schon langsam auf eine weitere typisch tschechische Vorliebe aufmerksam: Man drückt im Tschechischen gewöhnlicherweise viele Nebensachen aus, die einem Deutschen selbstverständlich scheinen – daß die Holzbrücke aus Holz gebaut ist und nicht nur eine Beimischung von Holz hat; daß in der Holzwolle das Holz beinhaltet ist, doch nicht mehr in seiner ursprünglichen Beschaffenheit; daß der Holzteer zwar aus dem Holz gemacht wird, doch die Holzstruktur sich dabei völlig verliert. Wenn ein Deutscher „Holzbrücke“ sagt, hat er bereits sich selber erfühlt und sich zum Begriff mühevoll durchgerungen. Das Wort ist dann eine Zusammenfassung von diesem Begriffsringen. Wenn ein Tscheche dagegen „dřevěný most“ sagt, ist das eine Beobachtung, eine ganze Reihe von begriffenen Beziehungen, die schon am Anfang des inneren Prozesses so dastand, doch dann mit dem Fühlen durchdrungen und durchgearbeitet wurde.

Gesprochene Natur

Bleiben wir nun noch eine Weile beim Holz. Es gibt nämlich eine Gruppe deutscher Wörter, die von „Holz“ abgeleitet werden, die der Tscheche aber ganz anders ausdrückt, wie „Holzklotz“ („špalek“), „Holzscheit“ („poleno“) oder „Holztrog“ („necky“). Dadurch, daß seine Sprache nur ungerne die Wörter zusammensetzt, ist der Tscheche sozusagen gezwungen, viele alte Wortstämme zu hegen und zu pflegen, die der Deutsche durch klare Begriffskombinationen ausdrückt. Doch der Tscheche beugt sich diesem Zwang sehr gerne, denn die Fülle der einfachen Wörter schafft ihm noch bessere Möglichkeiten, mit den Begriffen allerlei Nebensächliches auszusagen. So nennt er die Buche „buk“ und die Hainbuche „habr“, um dann einen Buchenwald „bučina“, einen jungen Buchenwald „boučí“, einen Hainbuchenwald „habřina“ und einen Hainbuchenhag „habroví“ nennen zu können. So nennt er einen Frosch „žába“ und einen Laubfrosch „rosnička“, um „žabička rosnička“ („Fröschelchen Laubfrosch“) sagen zu können. Und so hat er viele weitere verschiedene Wörter für alles, was man wahrnehmen, erleben und beobachten kann, vor allem für die Natur. – Will man auf Tschechisch „Wolken“ sagen, dann sage man „mraky“. Sind aber die Wolken leicht, bauschig und weiß, sollte man lieber „oblaka“ sagen. Wenn es dann aus denn Wolken anfängt zu regnen (dann mußten es sicherlich „mraky“ sein, aus „oblaka“ regnet es normalerweise nicht), kann man „prší“ („es regnet“) sagen. Regnet es aber nur tropfenweise, müßte es vielmehr „krápe“ heißen, und ist es etwas dazwischen, dann „poprchává“. Nieselt es nur, muß man gut schauen, ob das Nieseln gröber („mrholí“) oder feiner („mží“) ist. Kein Wunder, daß auch solche fremdländischen Ungeheuer wie Elephant oder Nilpferd ihre eigenen lautmalerischen tschechischen Namen haben („slon“ und „hroch“). Und kein Wunder auch, daß gerade auf dem Gebiet der Naturtatsachen das Deutsche etliche Lehnwörter aus dem Tschechischen (oder anderen westslawischen Sprachen) hat, wie „Zeisig“ („čížek“), „Stieglitz“ („stehlík“), „Wruke“ („brukev“, alttschechisch „vrukev“), „Gurke“ („okurka“) oder „Plötze“ („plotice“).

Wird ein deutsches Gespräch über den Urgrund des Weltendaseins oder über den Unterschied zwischen Verstand und Vernunft ins Tschechische gedolmetscht, kann der Übersetzer in ordentliche Engpässe geraten. Der Spieß dreht sich um, wenn die Tschechen anfangen, sich über die Wunder der Natur und die Schönheit der Welt zu unterhalten. Denn wieder spielt hier die unterschiedliche Anwendung des gleichen Denkens und des gleichen Fühlens mit hinein, die uns schon in der Phonetik begegnete und die sich bis in den Wortschatz durchzieht.

Knajpa und Hergot

Das „Fröschelchen“, das wir im vorigen Kapitel antrafen, weist auf ein weiteres Phänomen, das mit der tschechischsprachigen Einstellung zusammenhängt: Um die Begriffe für die Gefühle aufnahmefähiger zu machen, gebraucht der Tscheche viele Suffixe, die nicht nur Verkleinerung (die wir auch im Deutschen kennen), sondern auch Vergrößerung, Sympathie, Antipathie, Schönheit oder Häßlichkeit ausdrücken. „Žába“ ist ein Frosch, „žabka“ ein Fröschlein, „žabička“ ein sehr kleines oder sympathisches Fröschlein. „Žabizna“ ist demgegenüber entweder ungeheuer groß oder häßlich. Und diese Mittel stehen einem nicht nur bei Substantiven, sondern auch bei Adjektiven zu Verfügung: „Kleines schönes Fröschlein“ würde „malá hezká žabka“ heißen, aber mit einem anderen Gefühlsgehalt könnte es auch „malinká hezounká“ oder „maličká hezoučká“ sein.

Da jedoch das menschliche Fühlen noch viel umfangreicher und feiner gegliedert ist als der umfangreiche und feingegliederte Satz der tschechischen Suffixe, ist der Tscheche ständig auf der Suche nach Synonymen, denen er einen neuen Gefühlsgehalt einpfropfen könnte. Und dazu bekam er ein unbezahlbares Geschenk, als im 12. und 13. Jahrhundert von Deutschland nach Osten, wo man freien Boden und freundliche Obrigkeit sich erhoffte, mächtige Ströme von Wirtschaftsflüchtlingen sich ergossen. Es gab wohl auch früher in den böhmischen Landen hier und da einen deutschen Kaufmann oder Siedler, aber gerade diese große Volksbewegung des Mittelalters brachte genügend deutsches Element ins Land, damit das Tschechische sich in seiner Suche nach neuen Ausdrücken bis in unser Jahrhundert des naheliegenden Deutschen bedienen könnte.

Da die erwähnten zahlreichen Suffixe, mit denen der Tscheche die Feinheiten des Gefühls in die Begriffe hineinschmuggelt, eher Zuneigung und Bewunderung als Abneigung oder Verachtung ausdrücken können, stand es dem Tschechen nah, gerade die negativen Ausdrücke aus dem für ihn sowieso komisch klingenden Deutschen zu entlehnen. So kann eine Kneipe „hospoda“ genannt werden, wenn man zu ihr neutral steht, „hospůdka“, wenn sie klein und lieblich ist, oder eben „knajpa“, wenn man sie für ein verruchtes Unternehmen hält. Auch zum ordentlichen Fluchen fand der Tscheche im Deutschen genug Anregung: so kann mit den einheimischen Worten „Pane Bože“ („Herr Gott“) ein frommes Mütterchen seine Hände über dem Kopf schlagen, die Nebenbildung „panebóže“ kann bereits im Alltag etwa im Sinne von „meine Güte!“ gebraucht werden, aber der Lehnfluch „hergot“ ist eines Seeräuberkapitäns würdig.

Doch da der Tscheche dies alles aus Ausdrucksdrang und nicht aus Deutschfeindlichkeit tat, konnten sich die deutschen Wörter im Tschechischen immer heimischer fühlen, zahlreiche Mischehen eingehen und immer mehr auch Sympathisches, oder zumindest Familiäres, ausdrücken. Hat also „láhev“ („Flasche“) ein abwertendes Gegenüber „flaška“, hat „lahvička“ („Fläschchen“) bereits eine gleichwertige Schwester „flaštička“, die unter Umständen sogar noch größere Zuneigung bedeuten kann.

Männer sind anders, Frauen auch

Wir haben bereits über „žába“, also den Frosch gesprochen. Doch wir haben noch nicht gesagt, daß „žába“ im Unterschied zum deutschen „Frosch“ weiblich ist. Möchte man im Deutschen das andere Froschgeschlecht benennen, bedient man sich des Kompositums „Froschweibchen“, während man im Tschechischen ein geeignetes Suffix findet, der das Froschmännchen bezeichnet („žabák“). Und Frosch ist da keine Ausnahme. Da, wo dem Deutschen normalerweise nur ein oder höchstens zwei Suffixe („in“ und manchmal „er“) und drei Hilfswörter (neben „Weibchen“ und „Männchen“ auch „Mutter“, wie in „Adlermutter“) zur Verfügung stehen, kann der Tscheche mit „ák“, „ec“ oder der leeren Endung das Männliche und mit „e“, „ka“, „ice“, „yně“, „kyně“, „enka“ oder „ová“ das Weibliche bezeichnen. Und er kann es nicht nur, er tut es auch und geht damit so weit, daß er den Frauen sogar andere Familiennamen als den Männern zuordnet. Sagen wir im Deutschen „Müller“, müssen wir „Frau“ oder „Herr“ dem Namen voranstellen, um das Geschlecht zu erkennen. Sagt ein Tscheche „Müller“, meint er den Herrn Müller, denn die Frau Müller würde er „Müllerová“ heißen.

Das Tschechische ist – und wiederum hängt es mit dem Streben zusammen, den Begriff seelisch zu erfüllen – viel geschlechtsbetonter als das Deutsche. Auch wenn man von sich selber spricht, kommt man nicht daran vorbei, sich zu seinem Geschlecht zu bekennen. Lesen wir den deutschen Satz „wie konnte ich so dumm sein, daß ich ihm glaubte“, wissen wir nicht, ob er von einem Mann oder einer Frau stammt. Im Tschechischen würden wir lesen „jak jsem mohl být tak hloupý, že jsem mu věřil“ und wissen, da hat ein Mann gesprochen. Eine Frau hätte vielmehr gesagt „jak jsem mohla být tak hloupá, že jsem mu věřila“. Diese Unterscheidung von männlich und weiblich macht sich sogar beim Zelebrieren der Menschenweihehandlung bemerkbar. Da, wo ein in Deutsch zelebrierender Priester z.B. „ich nehme... rufend“ oder „den ich empfangen“ spricht, muß ein männlicher tschechischer Priester „beru... volaje“ und „jež jsem přijal“ sagen, seine Kollegin aber „beru... volajíc“ und „jež jsem přijala“.

Die Herausforderung der Sprache

Doch bei alledem, was wir schon erwähnt haben, und was mit dem verschiedenen Einsatz der gleichen Seelenkräfte im Deutschen und im Tschechischen zu tun hat, gibt es ein großes Gebiet der Sprache, auf das wir bisher nicht geschaut haben – nämlich das, was nicht eine Folge einer Seelenhaltung ist, sondern was im Unbewußten durch den weisen Sprachgeist als ein Keim des Zukünftigen in die Sprache eingepflanzt worden ist. So wird im Tschechischen der Geist „duch“ genannt, und die Seele „duše“, also „Geistin“. Einem durchschnittlichen Tschechen ist es kaum bewußt, und in der urslawischen Zeit, als die Bezeichnung entstand, war die Geschlechtsunterscheidung noch bei weitem nicht so entwickelt wie heute. Doch die Seele wird mit einem Wort genannt, das heutzutage „die Gemahlin des Geistes“ bedeutet – dem gerecht zu werden, ist eine Herausforderung, eine Aufgabe, die erst in der Zukunft erfüllt werden kann.

Ähnliches erleben wir, wenn wir Worte wie „Feind“, „Haß“, „Gefahr“ oder „Krankheit“ ins Tschechische übersetzen. Denn diese Wörter gibt es im Tschechischen nicht, man muß „nepřítel“, „nenávist“, „nebezpečí“, „nemoc“ (oder älteres „neduh“) sagen, also „Nichtfreund“, „Nichtzuneigung“, „Nichtsicherheit“ und „Nichtmacht“ („Nichtlebenskraft“). Es kommt wohl vor, daß ein Tscheche feindlich gestimmt ist oder Haß empfindet, er kann es jedoch nicht entsprechend benennen, er kann nur sagen, er sei „unfreundlich“ oder „ohne Zuneigung“, und seine eigene Muttersprache macht ihn zu einem Lügner. Und sie ist auch – gerade an dieser Stelle – kaum zur Wandlung zu bewegen. Wer sich wandeln muß und soll, ist der Sprecher selber. Erlaubt die Sprache keinen Feind, so darf es keinen Feind geben, höchstens Nichtfreunde, die doch künftig Freunde werden könnten; so soll auch der Haß, die Gefahr, die Krankheit nur als ein Mangel an Zuneigung, an Sicherheit, an Kraft empfunden werden, ein Mangel, der behoben werden kann und muß.

Die deutsche Sprache, die den Sprechenden von sich selber ausgehen läßt und erst dann zum Begriff führt, würde dies nicht ertragen können. Das Tschechische, das an den Anfang den Begriff stellt und diesen erst danach von der Seele des Sprechenden durchdringen und durchleben läßt, kann sich solche Herausforderung erlauben. Und vielleicht ist gerade dies die Aufgabe des Tschechischen in der vielfältigen mitteleuropäischen Sprachengemeinschaft.

 
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